1 Jahr Pionierlandwirtschaft – Rückblick
Im Frühling 2021 hatten wir auf der ehemaligen Heidelbeer-Selberpflückfläche damit begonnen, einen Wildkulturgarten anzulegen. Letztes Jahr war Pflanzjahr, dieses Jahr war jetzt das erste Jahr, in dem die ersten Kulturen schon richtig wachsen konnten.
Parallel dazu haben wir dieses Jahr auf zusätzlichen Flächen erstmals Gemüse aus «Pionierlandwirtschaft» angebaut, wie wir das relativ salopp mal formuliert hatten. Pionierlandwirtschaft deshalb, weil wir auf diesen Feldern nochmal eine Stufe mehr genommen und die Flächen noch grösser als im Permakulturgarten konzipiert, jedoch auch da regenerative Techniken ausprobiert haben.
Zeit für einen kleinen Rückblick: Was hat funktioniert? Was nicht? Ich habe mit unserer Wildkultur-Chefin Petra und Röbi, dem Produktionsleiter von Seegräben und der Pionierlandwirtschaft gesprochen:
Mal ganz generell: Was habt ihr im ersten Jahr alles gemacht?
Röbi: Wir haben die ersten Gemüse gepflanzt; Verschiede Randen, Stangensellerie, Fenchel, Krautstiel, Kohl, Chabis, Pak Choi und Lauch. Wir haben ausprobiert, wie gut sie sich in Direktsaat setzen lassen. Zudem haben wir verschiedene Gründüngungsvarianten getestet und dabei viel gelernt…
Petra: Nachdem wir im ersten Jahr einen Flickenteppich an verschiedenen Obstgarten-Feldern geschaffen haben, lag der Fokus dieses Jahr beim Bäume pflanzen und bei den Versuchsbeeten mit Mischgemüse («Chili con Carne»-Mischung: Mais, Bohnen, Kürbis, Kartoffeln). Das Kompostbeet von letztem Jahr – auf dem wir unsere Rüstabfälle verwerten konnten – wurde dieses Jahr bepflanzt. Wir haben Hügelbeete geschaffen mit verrottendem Holz und Stroh, die einen sauren Boden für unsere Heidelbeeren geschaffen haben. Zudem wurde der Boden in den Hügelbeeten früher warm und speicherte das Wasser länger. Last but not least haben wir Knoblauch zur Schädlingsprävention gesetzt und breitflächig Nützlingsunterkünfte angebracht.
Was hat so funktioniert, wie gehofft?
Röbi: Wir konnten bei den Randen, beim Fenchel, Krautstiel und Stangensellerie gute Mengen bei einer guten Qualität ernten.
Petra: Die Bohnen! Die sind super gewachsen. Die Bewirtschaftung war relativ unkompliziert. Sie haben die Wärme gut vertragen und kein zusätzliches Wasser gebraucht. Bis Mitte November konnten wir ernten, das war toll.
Was hat besser funktioniert?
Röbi: Wir waren positiv überrascht, wie gut die Gemüsesetzlinge gewachsen sind - trotz des heissen und trockenen Sommers. Die Pflanzen in den verschiedenen Beeten sind auch ohne Pflanzenschutzmittel und Dünger gut gediehen. Der Mulch hat den Boden sehr gut vor der Trockenheit geschützt. Der Boden hat sich sehr gut weiterentwickelt und wir konnten Hummus und Bodenleben aufbauen.
Petra: Die Wirkung des Komposttees; Die Wirkung an den eingesetzten Stellen trat vor allem sehr rasch ein, nicht erst gegen Ende Saison. Das Coole ist, dass man durch den Komposttee den vorhandenen Kompost «strecken» kann und den Dünger so auf einer grösseren Fläche verteilen kann. Die Pflanzen auf diesen Flächen sind super gewachsen, waren stark und hatten ein gesundes Grün. Der Unterschied zu den Pflanzen ohne Komposttee-Behandlung war deutlich sichtbar. Die Ausbringung ist im Moment noch aufwändig. Hier wollen wir noch effizienter werden. Trotzdem machen wir das nächstes Jahr ganz sicher wieder. Eine weitere Herausforderung ist auch immer, die Temperatur beim Brauen konstant zu halten, egal bei welchem Wetter.
Was hat nicht funktioniert?
Röbi: Da gibt es einige Dinge. Wir befinden uns in einem Lernprozess. Die überwinternde Gründüngung von 2021 auf 2022 mit Roggen war ein grosser Fehlentscheid, auf jeden Fall in Kombination mit der Knickwalze. Weil die Knickwalze nur flachdrückt und knickt, der Boden wird also nicht bearbeitet. So konnte der Roggen durchwachsen. Im Sommer kam uns das zugute, da es trocken und heiss war. Aber im Herbst hatte der Roggen alles überwachsen und war eine zu grosse Konkurrenz für unser Gemüse. So wurden vor allem der Chabis und der Krautstiel zurückgedrängt. Dazu kam der Braunrost am Getreide, welcher auch teilweise unser Gemüse befiel.
Petra: Die Schnecken haben uns komplett überrannt. Erst wollte ich ohne Hilfsmittel auskommen. Dann habe ich in der Verzweiflung trotzdem zu Bioschneckenkörnern gegriffen. Das war dann aber eh komplett für die Katz’. Dieses Jahr wollen wir es mit einer Kombination von Tagetes (eine Blume als verführerisches Dessert), Schafwolle und Pfefferminze als Vergrämer versuchen. Und eigentlich wollten wir ohne künstliche Bewässerung auskommen. Das war aber illusorisch, zumal dieser Sommer hitzetechnisch extrem war. Bäume brauchen einfach eine gewisse Grösse, bis sie eine gewisse Trockenheit aushalten. Unsere Jungbäume waren hier schlicht nicht gross genug.
Was werdet ihr nächstes Jahr anders machen?
Röbi: Sicherlich wird nie mehr eine Gründüngung mit Roggen verwendet, wenn es ein «no till»-Versuch ist (ohne Pflügen). Allgemein werden wir die Gründüngungen künftig selber anmischen und gezielter einsetzen. Zudem wollen wir die Mulchschicht optimieren, um nachträgliche Mehraufwände oder Ernteausfälle zu minimieren. Das tun wir zum Beispiel, indem wir Mulch von verschiedenen Beeten sammeln und stapeln, um die Mulchschicht dicker zu machen. Auf den Beeten, die dann ohne Mulch sind, wird direkt wieder Gründüngung eingesät.
Petra: Mulch wird auch in der Wildkultur ein grosses Thema sein nächstes Jahr. Ich möchte beim Gemüseanbau Mulch verwenden, um die Feuchtigkeit besser zu konservieren, Unkraut zu unterdrücken und dauerhafter Nährstoffe abzugeben. Aus der gleichen Überlegung möchte ich Heubeete ausprobieren (z.B. beim Kartoffel-Anbau). Längerfristig wäre das Ziel schon, ohne Bewässerung auszukommen, aber jetzt am Anfang ist es vielleicht noch nicht realistisch. Zudem wollen wir das Regenwasser besser verwerten und Pflanzung noch mehr optimieren. Ein weiterer Punkt ist, dass ich gerne Pflanzen selber anziehen und überwintern möchte. Mit folgender Überlegung: Das, was bei uns gut gedeiht, möchte ich wieder auspflanzen. So kriegen wir robuste, standortangepasste Pflanzen. Zudem sparen wir uns so natürlich den Einkauf von Setzlingen.
Was sind andere Erkenntnisse, die ihr aus diesem ersten Jahr zieht?
Röbi: Keine Gemüseart hatte ein Problem mit Krankheiten. Ausser Mäusen und Schnecken fanden wir keine weiteren Schädlinge. Das System mit den Beet-Strukturen in Anbau funktioniert. Auf Pflanzenschutzmittel und Dünger konnte in unserem Fall komplett verzichtet werden. Das Gemüse schmeckte hervorragend. Das ist ein grosser Mehrwert gegenüber konventionell angebautem Gemüse.
Petra: In eine Wiese Kulturpflanzen zu setzen ist nicht so einfach. Wir hatten viele Schnecken. Und wahnsinnig viel zu tun mit Graswuchs, Unkraut. Es war sehr viel Arbeit beim Trimmen, Mähen und Jäten. Das Gras wollen wir kurz halten, wegen der Mäuse und Schnecken. Um das effizient zu erledigen, fehlt es aber an Infrastruktur. Die Schafe sind hierfür leider keine Option, weil sie das Gemüse essen würden. Gänse würden vielleicht besser funktionieren.
Wir haben auch erste Gemüse aus dem Wildkulturgarten und der Pionierlandwirtschaft im Hofladen verkauft. Wie hat das funktioniert?
Röbi: Aus meiner Sicht schlecht. Sogar sehr schlecht, wir können unseren Kunden nicht ein teures (aber sehr nachhaltig angebautes) und ein normalpreisiges Gemüse ins Regal stellen und denken; ja klar jeder kauft das Bessere. Es liegt an uns, den Mehrwert bei einem Kauf vom Pioniergemüse zu erläutern. Ich würde auch keinen Ferrari kaufen, wenn ich nicht wüsste und davon überzeugt bin, was er mehr kann und was ich davon habe. Wir müssen einen neuen Vertriebskanal aufbauen, um den Mehrwert des Gemüses an den Kunden zu bringen.
Petra: Das sehe ich ähnlich. Hier sind wir dran, den ganzen Prozess von der Anbauplanung bis zur Vermarktung zu überarbeiten. Eine Idee ist es, das Gemüse im Wildkulturgarten nur noch zum Selberpflücken, z.B. als Rahmenprogramm für Firmen anzubieten. Oder wir machen einen separaten, betreuten Marktstand. Das ist gerade in Entwicklung.
Was kommt jetzt als nächstes?
Röbi: Die Planung für das nächste Jahr ist schon in vollem Gange. Aktuell geht es darum, die Vertriebskanäle fertig zu definieren und die Setzlinge vorzubestellen. Und dann freuen wir uns auf viele neue Erfahrungen.
Petra: Der Wildkulturgarten wird nun laufend vergrössert und weiterentwickelt. Viele Kirsch-, Apfel-, Birnen- und Zwetschgenbäume, sowie unsere Blaubeersträucher werden laufend von einer «Standard-Produktion» in den Permakultur-Garten überführt. Nächstes Jahr kommt sicher mehr Gemüse und ein Halloween-Kürbisfeld zum Selberpflücken. Zudem wollen wir anfangen, Erlebnis-Rundgänge durchzuführen, ev. auch mit Firmenkunden.
Vielen Dank euch beiden für den ausführlichen Rückblick!
Gerald
Hallo!
Ich versuche mich schon seit vielen Jahren im naturnahen Anbau von Gartengemüse zur Selbstversorgung. Aus dieser Erfahrung heraus kann ich sagen, Vieles vom Berichteten funktioniert. Meine Frau und ich sind berufstätig und daher ist uns Zeitökonomie wichtig. Beste Erfahrung haben wir mit allen Arten von Mulch gemacht. Der Feuchtigkeitshaushalt ist ausgeglichen und wir müssten kaum bewässern, Unkraut wird massiv unterdrückt, Harken ist nicht notwendig und Bodenleben und Nährstoffhaushalt haben sich massiv verbessert. Einzig gegen Schnecken haben wir kein natürliches Mittel gefunden. Nur Schneckenkorn hilft. Ob das gut ist, wenn auf der Packung auf die Zulassung in der biologischen Landwirtschaft verwiesen wird, kann ich nicht sagen. Von daher warte ich schon gespannt auf eure tollen Berichte! Herzliche Grüße aus dem Südburgenland!
Valérie Sauter
Oh vielen Dank für deine interessanten Inputs. Es ist schön zu sehen, dass so viele Menschen sich für eine nachhaltige Form der Landwirtschaft einsetzen.