Vom Büro aufs Feld
Jeder Mitarbeiter der Jucker Farm AG darf und soll mindestens eine sogenannte Job Rotation machen pro Jahr. Ziel ist, die verschiedenen Bereiche des sehr vielfältigen Betriebs besser kennen zu lernen. Ich beispielsweise arbeite im Marketing in Seegräben und habe von Landwirtschaft und der Produktion im Grunde keine Ahnung. Deshalb war es Zeit für mich, aufs Feld zu gehen.
NICHTS FÜR LANGSCHLÄFER
Der grösste Teil unserer Produktion findet in Rafz auf unserem Spargelhof statt. „Wir beginnen um 6.00 Uhr und arbeiten normalerweise bis 18.00 Uhr“, meint Raphael Peterhans, der stellvertretende Produktionsleiter, mit dem ich meine Job Rotation vereinbart habe. Ich musste gleich leer schlucken. Gut, in aller Früh bin ich also losgefahren und war um 7.00 Uhr (früher hab ich‘s einfach nicht aus dem Bett geschafft) dort.
DIE BEEREN PFLÜCKEN SICH NICHT VON SELBST
Zuerst ging‘s zu den Himbeer-, danach zu den Heidelbeersträuchern. Dort durfte ich mit den Erntehelferinnen aus Polen die reifen Beeren pflücken. Auf dem Rafzer Feld herrscht fast überall strikte Geschlechtertrennung: Die Frauen bei den Beeren, die Männer bei den Kürbissen. Das hat einfach damit zu tun, dass die Kürbisse teilweise über 10 Kilogramm schwer sind. Doch auch die Beerenernte ist kein Zuckerschlecken, besonders bei 30° Grad Celsius.
KLEINE FLIEGE, GROSSER SCHADEN
Die Kirschessigfliege (kurz KEF) ist sehr aktiv momentan. Diese Fliege ist deshalb so schädlich, weil sie ihre Eier nicht nur in verletzte oder faule, sondern auch in gesunde und intakte Früchte legt. Ein Weibchen kann bis zu 400 Eier ablegen. Die Heidelbeerkulturen in Rafz sind stark betroffen. Deshalb müssen die Erntehelferinnen gut darauf achten, nur gesunde Beeren zu ernten. Die Befallenen werden aussortiert und in verschliessbaren Eimern gesammelt und entsorgt. So wird versucht, die Vermehrung der KEF einzudämmen. Nach der Ernte müssen die geernteten Beeren nochmals von Hand überprüft werden, damit die Qualität für den Verkauf stimmt.
Der Name ist übrigens Programm. Befallene Beeren riechen stark nach Essig, deshalb heisst sie auch KirschESSIGfliege.
KÜRBISWASCHEN AUF POLNISCH
An diesem Tag habe ich definitiv mehr Polnisch als Deutsch gehört. Die Erntehelferinnen schwatzten munter ohne Punkt und Komma. Nur wenige können Deutsch, was eine Konversation etwas kompliziert macht. Beim Heidelbeerpflücken haben sie mich plötzlich gefragt, was ich denn für eine Religion habe. Sie haben anscheinend darüber diskutiert, ob die Schweiz katholisch oder reformiert sei und was wir traditionellerweise zu Weihnachten essen. So kam es zu einem lustigen Austausch in Deutsch, Polnisch, Englisch und etwas Zeichensprache.
Am Nachmittag haben die Männer (und eine Frau) begonnen, die geernteten Kürbisse (heute Oranger Knirps) zu waschen. Ein wirklich amüsanter Anblick, da alle ziemlich nass wurden und lautstark polnische Musik hörten. Die Kürbisse werden zuerst in einem Wasserbad vorgewaschen, dann fliessen sie weiter zum Becken, wo sechs Männer mit Bürsten auf sie warten. Danach geht es für die Kürbisse weiter durch einen Frischwassertunnel. Auf der anderen Seite werden sie von zwei Arbeitern nach Grösse sortiert.
Neben den Polen gibt es noch eine Gruppe aus Rumänien. Sie behängen momentan unsere Kürbisfiguren (dieses Jahr Thema Römer). In der Hochsaison sind rund 50 Gastarbeiter auf dem Hof in Rafz. Sie arbeiten 55 Stunden in der Woche und leben auf dem Hof. Walter Pfister, Leiter der Produktion in Rafz, erklärt mir: „Es ist eigentlich eine Win-Win-Situation. Klar, es ist streng und der Lohn ist nicht riesig, aber die Jobsituation in Polen und Rumänien ist schlecht und viele sind froh um den Job. Wir haben zum Beispiel viele Pärchen hier, die sich mit diesem Geld in ihrem Land ein Haus bauen.“ Und viele kommen seit Jahren immer wieder nach Rafz.
Um 17.00 Uhr hab ich’s geschafft (ich habe zum Glück keine 55-Stundenwoche). Ein anstrengender Tag mit sehr ungewohnter Arbeit. Doch es hat grossen Spass gemacht. Vielen Dank an das tolle Team in Rafz!
Noch keine Kommentare zu “Vom Büro aufs Feld”