Fair-Food – zu welchem Preis?
Am 23. September stimmt die Schweiz gleich über zwei Food-Initiativen ab: Die Fair-Food Initiative und die Initiative für Ernährungssouveränität.
Beide Initiativen haben sich - grob zusammengefasst - zum Ziel gesetzt:
- Einheimische Landwirtschaft zu fördern,
- das Angebot von qualitativ guten, umwelt- und ressourcenschonenden, tierfreundlich und unter fairen Arbeitsbedingungen produzierten Produkten zu stärken
- und dies nicht nur bei einheimischen, sondern insbesondere auch bei importierten Produkten.
Die Initiative zur Ernährungssouveränität will über dies hinaus:
- Eine Erhöhung der Zahl der in der Landwirtschaft tätigen Personen
- Kulturflächen erhalten
- Den Einsatz genetisch veränderter Organismen verbieten
- Gerechte Preise durch den Bund festlegen
Erreicht werden sollen diese Ziele unter anderem dadurch, dass der Bund Zölle auf die Einfuhr landwirtschaftlicher Erzeugnisse erheben und Zollkontingente vergeben darf. Zudem dürfte er Vorschriften zur Zulassung von Lebens- und Futtermitteln und zur Deklaration von deren Produktions- und Verarbeitungsweise erlassen.
Der Bund könnte also beispielsweise definieren, unter welchen Bedingungen die im Februar importierten Erdbeeren produziert worden sein müssen. Oder dass die Spargeln aus Mexiko teurer sind, weil sie ausserhalb der Schweizer Saison importiert werden.
Als Bauernhof haben wir das Gefühl, uns zu diesen Initiativen äussern zu müssen.
Jucker Farm macht bereits «Fair Food»
Vorneweg: Jucker Farm produziert, wie viele andere Schweizer Betriebe, bereits fair und wären von einer Annahme der Initiative gar nicht betroffen. Produziert wird hier nach den Prinzipien der «Integrierten Produktion» und was nicht selber angebaut wird, von möglichst nahe gelegenen Produzenten bezogen. In den Hofläden wird sogar die genaue Kilometeranzahl deklariert, damit jederzeit transparent ist, wie weit ein Produkt bis in den Hofladen gereist ist. Die Mitarbeiter werden fair entlöhnt und der Spargelhof benützt ausschliesslich selbst produzierte Solarenergie.
Fair Food ist nicht gratis
Jucker Farm tut dies aus Überzeugung. «Dafür werden wir immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert, unsere Produkte wären zu teuer», sagt Martin Jucker. «Aber fairen Food zu produzieren, das gibt es nicht gratis. Wenn wir faire Löhne bezahlen, oder weniger Pflanzenschutz betreiben, schlägt sich das direkt im Preis nieder. Aber unserer Meinung nach sollte es das wert sein».
Allerdings wird die Wahrnehmung darüber, was ein fairer Preis für ein Produkt ist, heutzutage über den Preis im Grossverteiler definiert. Und hier sind es grössere Massen, die die Preise drücken. «Wer im Grossverteiler eine Fertigsuppe für 3.50 Fr. kriegt, tut sich schwer damit, bei uns im Hofladen für die Kürbissuppe im Glas fast das Doppelte hinzublättern», bemerkt Martin Jucker.
Tatsächlich bezahlen Herr und Frau Schweizer heute einen Bruchteil dessen für Lebensmittel, was sie vor 50 Jahren dafür bezahlt hätten. Und zwar aus zwei Gründen: Einerseits wurde die Produktion skaliert und auf grössere Flächen ausgedehnt und mit effizienteren, grösseren Maschinen bewirtschaftet. Zum Zweiten wird vermehrt im Ausland produziert. Es wird mehr importiert, gerade bei den Zutaten für Fertiggerichte. Hier profitieren wir nur deshalb von günstigeren Preisen, weil der, der es produzieren muss, im Ausland nicht so viel verdient wie wir.
Eine Frage der Einstellung
Es geht also im Endeffekt darum, ob die Schweizer Konsumenten bereit sind, für faire und nachhaltige Produktionsbedingungen im Ausland auch mehr zu bezahlen. Oder ob man beispielsweise bereit ist, auf die Verfügbarkeit von Erdbeeren im Februar zu verzichten. Oder dafür ordentlich in die Tasche zu langen.
Und hier scheiden sich die Geister. Denn es gibt immer jene, die für günstiges Fleisch ins nahe Deutschland fahren. Weil sie das Fleisch primär günstig und nicht unbedingt fair haben wollen. Oder jene, die Spargeln aus Mexiko ohne mit der Wimper zu zucken in den Einkaufswagen legen – obwohl draussen noch Schnee liegt.
«Ich stelle immer wieder fest, dass die öffentliche Meinung ganz klar in Richtung Nachhaltigkeit tendiert. Alle wollen möglichst Bio, fair produziert und, und, und… Aber wenn es drauf ankommt, vor dem Regal, entscheiden sich viele immer noch für das günstigere Produkt. Hier besteht eine Diskrepanz zwischen den moralischen Ansprüchen und dem schlussendlichen Einkaufverhalten», stellt Martin Jucker fest.
Alles künftige Einkaufstouristen?
Dies zeigt sich auch durch den Einkaufstourismus. Gemäss dem eben kürzlich erschienenen Bericht von Avenir Suisse werden für jährlich rund 2,8 Mrd. Franken Lebensmittel im Ausland eingekauft. Ein nicht zu vernachlässigender Anteil, wenn man bedenkt, dass 2016 in der Schweiz rund 32 Mrd. Franken für Lebensmittel ausgegeben wurden (Quelle: bfs).
Diesen Leuten sind die Schweizer Produkte bereits teuer genug, um teilweise einen deutlich längeren Anfahrtsweg (und damit verbundene Benzinkosten!) in Kauf zu nehmen. Wird dieser Teil der Bevölkerung bei einer Annahme der Initiative steigen? Wenn ja, wie gross wird dieser Teil sein? Den Einkaufstouristen kann man die Einfuhr von unfair produzierten Lebensmitteln jedenfalls nicht verbieten, ohne generell Einkäufe im Ausland zu verbieten.
Braucht es also eine Bevormundung des Konsumenten?
«Ich wünschte mir eigentlich, es ginge ohne. Staatliche Regulierungen und überflüssige Bürokratie sind mir zuwider. Würde der Konsument seine Verantwortung konsequent wahrnehmen, bräuchte es diese nicht», sagt Martin Jucker, «ich als Produzent nehme meine Verantwortung bereits wahr…»
Es bleibt die Frage, ob der Konsument überhaupt in der Lage sei, die Verantwortung zu übernehmen. Schlussendlich muss er oder sie sich auf die Angaben der Produzenten und Händler verlassen können. Denn die Vielfalt an Produkten und die Intransparenz – nicht nur im Lebensmittelsektor – macht es enorm schwierig, zu entscheiden, welche Produkte nun fair sind oder nicht.
Von Jucker Farm steht seit einigen Tagen eine «Kürbissuppe im Glas» in ausgewählten Coop- und Volg-Filialen. Ein Beispiel dafür, was faire Convenience bedeutet. Die Suppe enthält 47-49% Kürbis ist um einiges teurer als eine herkömmliche Kürbissuppe im Plastik. Es wird sich zeigen, ob die Konsumenten bereit sind, diesen Aufpreis für fairen und gesunden Convenience-Food zu bezahlen.
Als Bauernhof, der «fairen Food» produziert, ist Jucker Farm gespannt darauf, wie am 23. September an der Urne entscheiden wird. Egal, wie diese Entscheidung ausfällt, hoffen wir auf Konsumenten, die sich ihrer Verantwortung bewusst sind, und diese mit ihrem Einkaufsverhalten auch wahrnehmen.
Marlies
Ein intressanter Bericht und sicher von der Sicht der Bauern korrekt. Nur vergisst man dabei einmal mehr, die Menschen die im Existenzminimum oder sogar darunter leben.Und die gibts zu Genüge ,auch wenn das viele nicht sehen wollen und einfach vom Tisch wischen. Auch die möchten mal gutes Gemüse ,Salate ,Früchte und vielleicht ab und zu ein feines Fleisch essen. Leisten können sie es sich bei unseren Preisen fast nicht (nicht mal in der Migros) somit sind sie dankbar wenn sie mal mit Freunden *Fahrzeug ist auch nicht vorhanden* ins Ausland mitfahren dürfen, dort einkaufen können,einfach auch mal *für sie* was Exklusives (für uns *Normal*) und sogar verbunden mit einem schönen Ausflug. Übrigens gibts auch dort Bio Anbau,gesundes Fleisch undsoweiter. Merci